Schade, SPON: "Armenien - Das Land, das auf Russland angewiesen ist" - ein oberflächlicher Artikel und meine Erwiderung


"Das Land ist durch seine Lage auf Russland angewiesen wie kein anderes. Mit dem weitaus größeren und reicheren Nachbarn Aserbaidschan befindet es sich seit dem Zerfall der Sowjetunion in einem unerklärten Krieg. Mit der Türkei ist es verfeindet, Nachbar Iran ist seinerseits isoliert. Nur Russland, die ehemalige Schutzmacht der Christen in der Region und Arbeitgeber für viele Armenier, kann Sicherheit garantieren. Aber auch mit dem Westen ist Armenien eng verbunden, dank einer großen Diaspora vor allem in Frankreich und Kalifornien.

Sargsjans Politik trug dem Rechnung. Er führte das Land gezwungenermaßen in Putins "Eurasische Wirtschaftsunion", womit ein geplantes Assoziierungsabkommen mit der EU hinfällig wurde. Aber statt des Assoziierungsabkommens unterzeichnete er 2017 ein umfassendes Partnerschaftsabkommen mit Brüssel. Sargsjan ist ein guter Schachspieler.

Bittere Armut, grassierende Korruption

Umgekehrt hat auch Russland die Proteste genau betrachtet - wenn auch mit zur Schau gestelltem Gleichmut. Es handle sich um eine innere Angelegenheit der Armenier, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow. Interesse hat Moskau an den Vorgängen aber durchaus: Karen Karapetjan, der statt Sargsjan nun wieder die Regierung führt, war über Jahre Manager von Tochterfirmen des russischen Gazprom-Konzerns.

Tatsächlich hat die große Unzufriedenheit der Demonstranten nicht mit Sargsjans Verhältnis zu Russland zu tun, sondern mit strukturellen Missständen, mit bitterer Armut und grassierender Korruption. Seit dem Krieg mit Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach sind Geschäftswelt und Politik in der Republik fest miteinander verwachsen, und zahlreiche Karabacher - Serzh Sargsjan unter ihnen - sind in einflussreiche Positionen aufgestiegen."

zum vollständigen Artikel: SPON


Zu dieser Darstellung möchte ich anmerken:
Das Land ist auf Russland angewiesen, weil es nur mit russischer Hilfe Aserbaidschan besiegt hat und weil die russische Garnison in Gyumri, nördlich von Eriwan, Armenien vor einem aserbaidschanischen Angriff auf das Mutterland schützt. Diese Situation versucht Russland aufrechtzuerhalten, indem es auch Aserbaidschan russische Rüstungsgüter in großer Menge verkauft. (Russlands Exportschlager: Energie und Konflikte). 

Russlands imperiale Interessen im Südkaukasus lassen sich nur mit einem Stützpunkt südlich Georgiens dauerhaft verfolgen. Deswegen wurde der Pachtvertrag für russischen Anlagen bei Gyumri auf 50 J. fixiert. Denkt man sich eine Achse zwischen Nordossetien über Südossetien nach Armenien, so versteht man, warum Moskau auf verdecktem Wege auch die armenische Unabhängigkeitsbewegung im georgischen Dschawachetien unterstützt. Es bliebe nur ein schmaler Landstreifen zwischen West- und Ostgeorgien. Man darf also getrost umgekehrt formulieren: Auch Russland ist auf Armenien angewiesen. 

Armeniens kurzer Flirt mit der EU - es empfindet sich mit seiner ältesten christlichen Kirche als europäisches Land  - währte nur kurz. 2013 verdoppelte Moskau den Preis für Erdgas, da zog Eriwan die Unterschrift unter das europäische Assoziierungsabkommen zurück. 

Anders als der Artikel suggeriert, hängen Korruption und Machtmissbrauch eng mit der genannten politischen Situation und der wirtschaftlichen Verflechtung mit Russland zusammen. (Auch der Alijew-Clan in Aserbaidschan profitiert vom anhaltenden, jedes Jahr Todesopfer fordernden Konflikt um Berg-Karabach.)

"Prowestliche Farbenrevolution" ist natürlich in Moskau, Sitz des SPON-Korrespondenten, ein Schimpfwort. Dahinter stecken NATO, CIA usw. wird suggeriert. Man kann "prowestlich" vor allem als Streben nach Menschen- und Bürgerrechten, Befreiung von Korruption und Misswirtschaft usw.  verstehen. Auch an den westlichen Werten, die es fortwährend als "heuchlerisch" zu diskreditieren versucht, hat Moskau kein Interesse. Aufklärung und russisch-orthodoxer, mit Stalinismus und völkischem Nationalismus flirtender Autoritarismus passen eben schlecht zusammen.










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