Neue Interviews mit Flüchtlingen

Giorgi Metreweli, 18 J., aus Kemerti:
Karu Williams im Gespräch mit Giorgi Metreweli (rechts)

In meinem Dorf wohnten ca. 300 Familien, in dem Viertel, in dem ich wohnte, ca. 60. Die Bevölkerung bestand teilweise aus Georgiern, teilweise aus eingeheirateten Osseten. In der Nachbarschaft befindet sich das ossetische Dorf Salda. Die älteren Dorfbewohner kennen sich noch, wir jüngeren hatten nie Kontakt untereinander. Auch im ersten Krieg 1991 bis 1993 blieben die Leute in ihren Dörfern und kämpften. Unser Dorf war in den letzten Jahren stets unter Kontrolle der georgischen Patrouillie sowie der georgischen Spezialeinheiten. Seit 2004 sind viele Dorfbewohner durch Schießereien und Minen ums Leben gekommen.
Wie der Krieg 2008 für mich begann:
Ungefähr am 2. August wurden Pick-ups in die Luft gesprengt und das Dorf von Posten der Gegenseite beschossen. Nach den ersten Luftangriffen bin ich geflohen. Jetzt stehen, nach Aussage einer Familie, die am 15. August mit Hilfe des Roten Kreuzes nach Tbilissi geflohen ist, noch fünf Häuser. Mein eigenes Haus wurde in diesen Tagen zweimal angezündet.
Woher der Hass stammt? Die Osseten sind Einwanderer, und wir sind die ursprüngliche Bevölkerung. Es gibt ein georgisches Sprichwort: Im Hühnerstall wird kein zweiter Hahn geduldet. Wir sind nicht diejenigen, die nicht zurückschießen, wenn sie beschossen werden.


Schota Kareli aus Tqwiawi, von Beruf Sammeltaxi-Fahrer:

Ich habe vor dem Krieg als Maschrutka-Fahrer die Route Gori-Zchinwali bedient. An der südossetischen Demarkationslinie endeten meine Fahrten. Obstbauern, Händlern, Frauen und Kindern war der Grenzübertritt nach Zchinwali möglich. Unser großes Dorf namens Tqwiawi, mit ca. 2000 Familien, wurde von Georgiern, Armeniern und einigen Osseten bewohnt.
Die ersten Luftangriffe gegen unser Dorf wurden am 12. oder 13. August geflogen. Zu dieser Zeit hatte sich das georgische Militär bereits zurückgezogen. Nach der Bombardierung besetzte die russische Armee in Begleitung von Freischärlern, unter denen sich Osseten, Kosaken u.a. befanden, das Dorf. Von den Freischärlern wurden etwa 100 Dorfbewohner getötet. Zwei Beispiele wurden mir von geflüchteten Nachbarn erzählt:
Ein 14jähriger Junge blieb bei seiner Großmutter im Hof. Er wurde, trotz seines Alters, von Freischärlern erschossen. Seine Leiche durfte eine Woche lang nicht beerdigt werden. Nach einer Woche haben Nachbarn die Leiche in der Nacht heimlich im Garten begraben.
Zwei Brüder, 70 und 75 Jahre alt, die im Dorf als sehr wohlhabend galten, wurden zu Hause überfallen. Sie öffneten freiwillig die Haustür und ließen die Freischärler alle Wertsachen abtransportieren, ohne sich zu wehren. Dennoch wurden sie beide erschossen. Dies erzählte mir die Ehefrau des einen Bruders, die verschont wurde.
Durch den Bombenangriff wurden ca. zehn Häuser zerstört. Die Freischärler haben später die wohlhabenderen Häuser an den Hauptstraße praktisch sämtlich angezündet; die weniger wohlhabenden Häuser in den Nebenstraßen wurden in der Regel verschont.
Woher der Hass stammt? Den Hass gibt es schon seit den Zeiten von Erekle II. (Ende 18. Jh., der Hrsg.), als die Russen das erste Mal ihren politischen Einfluss auf Georgien geltend machten und Zwietracht zwischen den Völkern säten. Diese Tradition setzten die Kommunisten und insbesondere Stalin fort. Ob die Osseten gegenüber den Georgiern benachteiligt wurden, ist zwischen meinen Freunden und mir umstritten. Für beide Thesen gibt es Belege.
(Schota Kareli ist die 60km nach Tbilissi auf der Flucht ausschließlich nachts zu Fuß gelaufen; tagsüber hat er sich mit Freunden versteckt.)

Interviews: Karu Williams, Fotos: Sönke Henning Tappe



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